Donnerstag, 29. Mai 2008

Potosi die Zweite

Nachdem die letzte Nacht wirklich bitterkalt war, haben wir nun neben unseren 5 Decken (das Wort "manta" haben wir schnell gelernt) noch 3 aus einem anderen Bett zu uns gelegt. Flo behauptet ja, dass nackt schlafen die Loesung gegen Kaelte waere, doch so ganz glauben wollte ich das nicht. Aber ich habs ausprobiert und tatsaechlich war mir doch nach 4 Std so heiss, dass ich sogar meine Socken ausziehen musste. Scheint zu funktionieren. Als der Wecker um 7 klingelte, hatte Flo in der Nacht kaum geschlafen und fuehlte sich schrecklich. Der Magen ... Und ihm war staendig heiss und kalt. Klang und sah nach Fieber aus. Nach kurzen Hin und Her habe ich mich entschieden, die Minentour alleine mitzumachen, die wir fuer diesen Tag gebucht hatten. Ich habe ihm einen Tee besorgt und er wollte brav bis mittags im Bett bleiben ...
Ich bin also zusammen mit 3 Australiern, einem Schweizer, zwei Englaenderinnen und zwei Israelis mit "Koala Tours" um 8.30 Uhr zur Tour aufgebrochen. Wir hatten zwei Fuehrer, Efra und Reinaldo. Beide sind ca. 30 Jahre alt und arbeiten selbst seit Jahren in der Mine, wenn sie keine Touristenfuehrungen machen.
Unsere erste Station war das Camp etwas ausserhalb der Stadt, in dem wir eingekleidet wurden. Jeder erhielt Gummistiefel, Gummijacken und feste Hosen samt Helm mit batteriebetrieberer Stirnlampe. Das Equipment war in einem Topzustand und sehr gut gewartet. Es wird nach jedem Gebrauch gewaschen bzw. geprueft. Der erste positive Eindruck ... Dann ging es weiter zu der Raffineria, in der das Material, das aus den Minen kommt, weiterverarbeitet wird. Die ganzen Anlagen waren sehr alt und zum Teil schlecht in Schuss ("very Basic"), doch fehlt das Geld fuer weitere Wartungen. Efra hat uns berichtet, dass die "Miners" (Minenarbeiter) aus der Mine Stein mit Silber, Zinn und Blei holen. Leider sind 85% des Gesteins Abfall, nur 15% davon koennen gebraucht werden. In der Raffineria werden die ca. 5-10 cm grossen Gesteinsbrocken gemahlen und das Pulver dann mit Wasser verduennt. Anschliessend wird die Bruehe erhitzt und in der "Giftkueche" von den giftigen Inhaltsstoffen befreit. Danach wird das braune Gestein-Wassergemisch zigmal durchgewaschen bis am Ende der Silberstaub an der Oberflaeche stehenbleibt, getrocknet und abtransportiert wird. Natuerlich wird bei der Abwasserentsorgung der leichteste Weg verwendet ... der nahegelegene Fluss.
Wir sind weitergefahren zum Markt, an dem alle Minenarbeiter einkaufen und sich versorgen. Efra hat uns berichtet, dass ein Minenarbeiter in der Regel nur am Morgen und Abend isst, denn in der Mine ist es so schmutzig, dass man essen vergessen kann. Demnach nimmt ein Arbeiter am Morgen 3-4 volle grosse Teller mit Reis, Nudeln, Lamafleisch, ua. Dingen zu sich, damit er der harten Arbeit unter Tage gewachsen ist. Unter Tage werden vor allem einheimische Softdrinks zwecks Energiezufuhr getrunken. Auf dem Markt gab es Ausruestung (Helme, Schutzkleidung, Masken, Jacken, Stiefel, uvw.), Material (Dynamit in Huelle und Fuelle, Karren, Schaufeln), Getaenke, Essen (wer Familie hat, isst zu Hause, Alleinstehende essen auf dem Markt) und vor allem Kokablaetter. Die Kokablaetter werden hier in grossen Saecken verkauft und die Arbeiter zupfen die Blaetter von den Stielen und schieben sich die Masse zum eingespeicheln in den Backen (golfballgross!!). Wir haben auf dem Markt "Geschenke" (Dynamit, Softdrinks, Koka) fuer die Arbeiter gekauft und uns noch fuer den Trip unter Tage gestaerkt. Natuerlich haben wir das Koka auch gekaut, denn seit der Suedbolivientour wissen wir, dass es tatsaechlich gegen die Hoehe hilft und Energie gibt. Wir sind dann mit dem Bus auf den Cerro Rico gefahren, den "Reichen Berg", der zum Abbau des Gesteins genutzt wird. Dort gibt es ca. 400 Minen mit je ca. 100-400 Arbeitern. Koala Tours besichtigt immer die "Candelaria" Mine, die nicht ganz so viele giftige Gase enthaelt und halbwegs gute Luftzufuhr hat.
Bei der Mine angekommen, gab es vor dem Eingang eine Menge Baracken aus Stein, "very basic", die von den Arbeitern aus Schlaf- und Aufenthaltsraeume genutzt werden. Fuer uns unvorstellbar, dort auch nur 2 Std. sein zu muessen. Es zieht an allen Ecken und Enden. Toiletten gibt es nicht, wer muss geht hinters Haus. Vor der Mine waren eine Reihe von Arbeitern neben einer Lore zu sehen, denen wir einen Teil unserer Kokavorraete ueberreicht hatten. Dann gings los: Halstuecher um den Mund, Mundschutz auf wer hatte (meinen hatte ich leider verloren), Lampe an und Richtung Eingang. Schon nach wenigen Metern in dem Schacht - zu Fuss auf dem Weg der Schienen (fuer die Lore) - war eines klar: der Gestank und der Staub in Kombination mit 4300 m Hoehe sind nahezu unertraeglich. Licht gibt es nur durch die Stirnlampen, man musste auf seinen Weg schauen, denn der Boden ist nass, schlammig, loechrig und es gab mehr als genug Stellen, wo man sich in die Knie ducken musste, um den Kopf nicht anzuschlagen. Ueberall war der Gang durch Holzbalken gestuetzt und man darf nicht an die Strom- und Rohrleitungen kommen, die ununterbrochen zischende Geraeusche von sich geben. HILFE ... Die Luft wurde nach 100 m zum Schneiden, ohne Halstuch um den Mund ging nichts mehr, es roch unheimlich stark nach Schwefel und der Staub war in der Luft zu sehen. Die Augen brannten, das Atmen fiel sehr schwer, denn ohne Halstuch stank es zu sehr, mit kriegte man auch kaum Luft. Ich hatte alle Muehe, meine Panik zu bekaempfen. Was toll war, waren die Gesteine. Gelbe, gruene, weisse Felsen, zum Teil durchzogen von Silberadern.
Ploetzlich ein ohrenbetaeubender Laerm und wir sahen die Lore von hinten heranrasen. Wir rannten zur naechsten Ausweichstelle und schon schoss der Metallzug an uns vorbei ... puhhhh .... grad nochmal geschafft, denn der Gang war zu eng fuer Mensch plus Lore ... Nach einigen hundert Metern hatten wir den "ersten Level" erreicht, wo ein kleines Museum engerichtet war. Noch eine Ladung Koka fuer alle und dann gings weiter. Die naechste Etappe wurde immer beschwerlicher, zumal der Gestank, der Staub und vor allem die Hitze zunahm. Ich war nicht nur einmal kurz vorm aufgeben, und weitere 10 Min spaeter, die sich dank der Enge, Dunkelheit und dem Gestank hinzogen, errreichten wir den Eingang zum "zweiten Level". Dort hatten wir eine kleine Ecke zum hinsetzen gefunden, wir konnten uns ausruhen und an die Umgebung gewoehnen. Efra und sein Assistent Reinaldo haben uns viel ueber das Leben der Miners berichtet und ich muss sagen, dass mich diese beiden Maenner schwer beeindruckt haben. Sie haben berichtet, dass jeder fuer sich arbeitet, doch jede Ader wird von einer Gruppe (Familie) bearbeitet. Dort arbeiten Vaeter, Soehne, Neffen, Cousins alle Hand in Hand, der aelteste bestimmt die Arbeitszeiten. Wenn der Vater "Miner" ist, wird der Sohn ab einem Alter von 15 auch in die Mine geschickt, so will es die Tradition. Gearbeitet werden ca. 10 Stunden am Tag, zum Teil auch nachts, denn dunkel ist es eh immer. Frei ist nur der Sonntag, Urlaub gibt es nicht. In der Regel arbeitet ein Miner ca. 30-35 Jahre in der Mine, bevor er an den Folgen der Arbeit stirbt, falls er nicht schon vorher einem Unfall zum Opfer faellt. Die Maenner werden nicht aelter als 45 oder 50 Jahre, sterben dann meist an Staublunge oder Vergiftungen. Im Durchschnitt sterben ca. 50 Maenner pro Jahr in der Mine durch Unfaelle, je einer am Tag durch die Folgen der Arbeit. Der Staat hat eine kostenlose medizinische Grundversorgung und minimale Witwenrente fuer die Miners und ihre Angehoerigen eingerichtet, was nett klingt, aber viel zu wenig ist. Ein normaler Arbeiter verdient in Potosi ca. 800 Bolivianos (ca. 80 EUR) im Monat, waehrend ein Miner zwischen 1500 und 2000 Bolivianos verdienen kann, wenn auch unter sehr, sehr harten Bedingungen. Dieses Einkommen reicht, um unter einfachsten Verhaeltnissen (ein Raum Haus mit Kuechenecke, keine Heizung oder Dusche) eine Familie mit 2 Kindern zu versorgen. Doch da die Menschen hier in der Regel 5-8 Kinder haben, muessen die Aeltesten baldmoeglichst auch mit in die Mine zum Geldverdienen. In die Mine werden nur die Soehne geschickt, Maedchen duerfen im Gluecksfall zur Schule gehen oder muessen anderweitig arbeiten. Da die Kinder in Bolivien einen grossen Respekt gegenueber den Eltern empfinden und diesen gehorchen, ist es keine Frage, ob man diese Arbeit machen moechte oder nicht. Efra und Reinaldo wurden auch von ihren Vaetern die Mine geschickt und arbeiten dort seit 15 Jahren. Kinderarbeit ist hier sehr verbreitet (zwar offiziell verboten, doch geduldet und es interessiert niemand). Beide Fuehrer haben fuer sich erkannt, dass es ihre Kinder einmal besser haben sollen und haben auf eigene Faust englisch gelernt, ohne Kurse oder Buecher, nur durch Reden mit Touristen. Efra kann dadurch sehr gut englisch und ist schon selbstaendiger Touristenfuehrer in der Mine, Reinaldo lernt von ihm und assistiert ihm, so dass er bald eigene Touren leiten kann. Die Jahre des Lernens bringen kein oder kaum Geld, daher ziehe ich meinen Hut vor dem Mut der beiden Maenner, so hart fuer ein besseres Leben zu arbeiten und viele Entbehrungen hinzunehmen. Doch obwohl Efra eine "gute" Stellung als Guide hat, lebt er in sehr einfachen Verhaeltnissen, genauso wie 75% der Bevoelkerung (Baracke ohne Dusche und Heizung, siehe oben). Er hat so lebendig aus seinem Leben erzaehlt, dass ich immer noch ganz gebannt bin und das Gefuehl habe, irgendwie helfen zu muessen. Die Regierung hat mit dem Bauern Evo Morales zwar einen Praesidenten aus den Reihen des Volkes, doch er interessiert sich weder fuer die Verbesserung der Bedingungen in den Minen noch fuer eine Verbesserung des maroden Bildungssystems (alles nur Wahlversprechen). Die Korruption ist hier so stark, dass die Oberen alles in die eigene Tasche wirtschaften und das Volk hungert.
Nach diesen und weiteren Informationen und dem Plausch mit mehreren Miners sollte es also weiter per Leiter nach unten in den zweiten Level gehen. Die Australierin Zoe und ich haben uns nicht mehr weiter getraut (ich finde ich kam mit meiner Platzangst eh schon weit), denn das Schlimmste sollte noch folgen. Reinaldo hat uns nach draussen begleitet, waehrend die anderen weiter abgestiegen sind. Das zweite Level war weitgehend zum Robben und Kriechen, das Dritte wieder besser begehbar. Nach einer 3/4 Std kamen unsere Kollegen voellig fertig, verschwitzt, roechelnd und dreckig (unten hat es bis zu 40 Grad) aus der Mine und waren sprachlos. Sie hatten wohl die Miners dort arbeiten sehen, Sprengungen erlebt und das soll wohl wirklich hart gewesen sein und fast alle waren dabei an ihre Grenzen gegangen. Wir haben draussen noch 3 Sprengungen gemacht und selbst 100 m von dem Dynamit entfernt, hat der Boden so vibriert, dass ich fast in die Luft gehuepft bin, vom Knall mal ganz abgesehen. Wahnsinn. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie das unter der Erde ist und Zoe und ich waren heilfroh, nicht weiter mit nach unten gegangen zu sein ... auch wenn wir dadurch leider nicht alles gesehen haben.

Zurueck im Zimmer ging es Flo eher schlechter als besser, es war bitterkalt und er hatte Fieber. Ich habe von Ruth, der Hausherrin noch einen Tee und Waermflasche geholt und damit schlief Flo immerhin endlich ein. Ich habe gefragt, ob Ruth nicht einen elektrischen Heizkoerper hat, doch als sie dies verneinte, war schnell entschieden, dass wir uns eine neue Unterkunft mit Heizung suchen wuerden. Eine war voll, die andere hatte noch genau ein Zimmer. Juhu. Nachdem ich alles gepackt hatte, haben wir unser Zeug per Taxi zum Hotel gefahren und Flo hat sich wieder hingelegt. Hier ist es wohlig warm, wenn auch mit 350 Bolivianos (35 EUR) echt teuer. Immerhin ist Internet inclusive und wir verbringen gerade Stunden am PC um Texte und Bilder fertig zu machen. Flo muss schliesslich wieder fit werden ... Abends habe ich im Koala Cafe noch Tortilla getestet und festgestellt, dass das bolivianische Tortilla mit Spinat genial ist ... Nach einer echt anstrengenden und fiebrigen Nacht geht es Flo heute schon wieder besser und so wie es aussieht, werden wir wohl morgen mit dem 13 Uhr Bus nach Sucre fahren.

Heute habe ich Flo´s Strickjacke vom Schneider geholt, der Reissverschluss war kaputt, und den Mercado Central durchkaemmt und zwar nach Dulce di Leche. Zum Fruehstueck gibt es hier immer nur Butter (gesalzen) mit einer Pfirsichmarmelade, die ich nicht essen kann, daher musste was anderes her. Auch wenn wir schon an trocken Brot mit Tee oder Wasser gewoehnt sind, zumindest zum Fruehstueck esse ich ab morgen wieder Dulce di Leche, da es Streichkaese (was mir am liebsten waere) hier einfach nicht gibt. Der Markt hier gibt wirklich alles her, was man kaufen kann (ausser Streichkaese natuerlich). Schuhe, Klamotten, Fleisch (hab ein paar Kuhkoepfe gesehen und vor allem gerochen), Gemuese, Kosmetik, eben alles, was man braucht. Und hier gibt es nur Einheimische, ich mag so was. Immerhin hab ich 2 frischgepresste O-Saefte erstanden, um halbwegs zu Vitaminen zu kommen.

P.S. Falls ihr euch schon gewundert habt, dass es keine neuen Bilder mehr gab: nun gibt es wieder welche. Es ist einfach unheimlich schwer, einen PC zu finden, der halbwegs die Geschwindigkeit hat, sie hochzuladen ...

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